ProMädchen – Mädchenhaus Düsseldorf e.V.

Statement anlässlich des Europäischen Protesttags
zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 05. Mai

Seit der Covid-19 Pandemie ist unsere pädagogische Arbeit verstärkt geprägt durch die Sorge um die Lebenssituationen von Mädchen* und junger Frauen* mit Behinderung. Die vielfältigen Lebensrealitäten sind eng gekoppelt an Erfahrungen mehrdimensionaler Dis-kriminierung. Viele der Mädchen* mit Behinderung, mit denen wir pädagogisch arbeiten, erleben neben Sexismus und Ableismus weitere Diskriminierungserfahrungen wie bei-spielsweise Rassismus und Klassismus. Es lässt sich insgesamt beobachten, dass die Pan-demie diese Diskriminierungserfahrungen enorm verstärkt und bei vielen Mädchen* zu einer hohen psychischen Belastung führt. Auch in Gesprächen mit Eltern oder anderen Bezugspersonen bestätigte sich die enorme Belastungszunahme durch die Corona-Situation. Eltern berichteten von fehlenden Hilfsangeboten für be_hinderte Kinder und Jugendliche und betonten mehrfach, dass sie sich (vor allem seit den ersten Lockdown-Wochen) komplett allein gelassen fühlten und am Ende ihrer Kräfte seien. Dieser Zustand muss sich ändern.

Wir fordern, dass die spezifischen Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen kon-sequent in politischen Entscheidungen mitgedacht werden und entsprechende Unterstüt-zungsstrukturen angeboten werden. Gesellschaftliche Exklusions-Erfahrungen und strukturel-le Diskriminierung in dieser Krisenzeit sind verstärkt und erfordern konkretes Handeln sowie umfassende Veränderungen.

Die Folgen der Covid 19 Pandemie und der damit einhergehende Lockdown haben es nicht nur erschwert, sondern teilweise unmöglich gemacht im regelmäßigen Kontakt mit den Mädchen* zu bleiben. Die Orte an denen dieser Kontakt und die Beziehungsarbeit für gewöhnlich stattfand (Schule, Mädchentreff, Beratungsstelle), waren Monate lang ge-schlossen oder konnten zumindest nicht besucht werden.

Die Erreichbarkeit durch digitale Angebote war eine Reaktion auf die fehlenden Möglich-keiten des persönlichen Kontaktes. Doch es wurden schnell Grenzen in Bezug auf die Um-setzung und Schaffung von digitalen Zugängen wahrnehmbar. Digitale Medien werden von Mädchen* mit Behinderung sehr unterschiedlich genutzt. Für manche Mädchen* ist die Nutzung sehr wichtig und hilfreich im Alltag. Die verfügbaren Ressourcen zur Nutzung digitaler Medien sind jedoch sehr unterschiedlich. Zusätzlich sind diese häufig nicht barri-erefrei bedienbar. Die Nutzung digitaler Medien zeigt sich durch die Corona-Situation vermehrt als Chance, wirft aber auch Fragen auf. Viele Bereiche - private wie berufliche - haben sich in die digitale Welt verlagert. Es lässt sich dahingehend beobachten, dass sich digitale Barrieren in Pandemie-Zeiten vervielfacht haben. Die Fragen nach den Zugangs-möglichkeiten und barrierefrei verfügbaren Angeboten und Informationen bleibt weiter-hin bestehen.

Digitale Angebote müssen vereinfachte Zugänge aufweisen und sich an barrierefreien Stan-dards orientieren. Software, Apps, Webseiten, Informationen, Lieferdienste usw. müssen für alle Menschen zugänglich sein. Es bedarf assistiver Technologien und einer umfassenden technischen Ausstattung sowie fachspezifische Beratung zum Thema. Außerdem sollten zu-künftig vermehrt zielgruppenspezifische pädagogische Angebote zum Thema Nutzung digi-taler Medien und inklusive Medienbildung durchgeführt werden.

Seit der Zeit des Lockdowns zeigen sich viele gesellschaftliche Missstände, die bereits vorher da waren, in verstärkter Form. Diese Situation muss genutzt werden, um diese Zu-stände zu verändern und an einer inklusiven Gesellschaft zu arbeiten, die Zugänge schafft, anstatt sie zu verwehren. Das kann nicht passieren, ohne Be_hinderung als ein intersektio-nales Phänomen zu begreifen, das eingebettet ist in bestehende Herrschaftsverhältnisse, die es zu überwinden gilt. Ein positiver Ausblick fällt zum jetzigen Zeitpunkt zwar schwer, aber wir weiter daran, den Abbau von Barrieren auf struktureller Ebene in der eigenen Ein-richtung voran zu bringen, zu reflektieren, uns zu vernetzen und inklusive pädagogischen Konzepte an den Bedarfen der Mädchen* weiterzudenken.

 

 

 

Hinweis zur Schreibweise: Die deutsche Sprache ist eine binäre Sprache. Versuche, ge-schlechtliche Vielfalt sprachlich darzustellen, sind zwangsläufig mehr oder weniger wider-sprüchlich. Wir befinden uns noch in einem Prozess und verwenden das daher nicht immer einheitlich. Wir bitten hierbei um Nachsicht und freuen uns über konstruktives Feedback zu unseren sprachlichen Geh-Versuchen. Das Zeichen soll die Vielfältigkeit der Identitäten sichtbar machen. Sei es in Kategorien wie Geschlecht (z.B. trans*, inter*, cis) oder auch Kultur, Klassenzugehörigkeit, körperliche Ausgangslage etc. Mädchen* und Frauen* schreiben wir, da wir damit all jene ansprechen möchten, die sich als Mädchen identifizie-ren, auch wenn ihr zugewiesenes Geschlecht ein anderes ist, oder die von der Gesellschaft als Mädchen gelesen werden, auch wenn Sie sich selber anders definieren.